Lautheit von Musik: Eine empirische Untersuchung zum Einfluss von Organismusvariablen auf die Lautstärkewahrnehmung von Musik
Arne von Ruschkowski
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Frage, welchen Einfluss die Organismusvariablen Alter, Geschlecht, Musikpräferenz und momentane Befindlichkeit auf die Lautheit von Musik haben. Mit Organismusvariablen (auch: Organismusfaktoren) werden Motivations- und Persönlichkeitsmerkmale bezeichnet, die an das wahrnehmende Subjekt gebunden sind. Die Lautheit ist dagegen ein Begriff aus der Psychoakustik. Sie gibt an, wie Menschen die subjektiv empfundene Lautstärke eines Schallereignisses beurteilen. Das Phänomen der Lautheit wird in der Psychoakustik seit mehr als 150 Jahren erforscht. Die Psychoakustik ist der Teilbereich der Psychophysik, der sich mit der Beschreibung der
gesetzmäßig-funktionalen Zusammenhänge zwischen den objektiv messbaren physikalischen Eigenschaften eines Schallereignisses (z. B. dem Schallpegel) und den durch sie ausgelösten subjektiven Hörempfindungen (z. B. der Lautheit) befasst. Die aktuelle psychoakustische Lautheitsforschung beruht in weiten Teilen noch immer auf
dem von dem Psychologen S. S. Stevens um 1935 popularisierten Paradigma der Neuen Psychophysik. Sie basiert auf einem einfachen Reiz-Reaktions-Modell und zeichnet sich durch eine operationalistisch-physikalische Betrachtungsweise der menschlichen Wahrnehmung aus. Psychisches soll danach wie Physisches auf gesetzmäßige Zusammenhänge reduziert werden können. Stevens' eigene Forschung kulminierte in dem nach ihm benannten psychophysischen Potenzgesetz, dessen Gültigkeit er nach Maßgabe seiner experimentellen
Befunde u. a. auch für die Lautstärkeempfindung annahm. Es besagt, dass die Empfindungsstärke über eine Potenzfunktion mit der Reizstärke zusammenhängt. Nachdem die „klassische“ psychoakustische autheitsforschung von Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts zunächst große Erkenntnisfortschritte brachte, scheint sie in den vergangenen Jahrzehnten zu stagnieren. Wirklich neue Erkenntnisse waren und sind nicht zu verzeichnen. 5 Daneben ist auch Stevens' Forschungsansatz seit den sechziger Jahren zunehmend in die Kritik geraten. Methodisch beruht die Lautheitsforschung fast ausnahmslos auf Laborexperimenten mit künstlichen Schallereignissen wie Sinustönen oder Rauschen. Nach einer der Physik entlehnten Forschungsstrategie werden dabei reale Wahrnehmungssituationen in experimentelle überführt. Dazu wird ein Versuchsdesign gewählt, bei dem möglichst viele der in einer „natürlichen“ Wahrnehmungssituation (wie z. B. das Hören von auf Tonträgern produzierter Musik über eine HiFi-Anlage) vorkommenden Variablen entweder aus der Untersuchung ausgeschlossen oder aber durch Festlegung konstanter Funktionswerte kontrollierbar gemacht werden. Übrig bleibt so im günstigsten Fall nur eine Variable, die dann als „unabhängige Variable“ in bestimmten Grenzen frei vom Versuchsleiter (im Folgenden: Vl) veränderlich sein soll. Auch bei den Versuchspersonen sollte möglichst nur eine abhängige Variable ohne
Einfluss weiterer Variablen gemessen werden. Demnach bestünde ein solches Experiment aus lediglich einer Variablen sowohl auf der Eingangs- (Reiz, Stimulus) wie auf der Ausgangsseite (Reaktion, Response). Je einfacher das Stimulusmaterial und je kontrollierbarer die Versuchsbedingungen, desto deutlicher treten die gesuchten Reiz-Reaktions-Zusammenhänge zu Tage.
Diese Vorgehensweise birgt aber auch Nachteile: Viele Wissenschaftler bezweifeln inzwischen, dass die Ergebnisse derart gestalteter Versuche auf die Wahrnehmung natürlicher Schallquellen in Alltagssituationen übertragbar sind. Zu offensichtlich ist z. B., dass im Alltag physikalisch identische Schallereignisse zu individuell unterschiedlichen Lautheitswahrnehmungen führen können. Mit psychophysikalischen Gesetzmäßigkeiten können zwar
einzelne Komponenten, nie aber der gesamte Prozess einer komplexen alltäglichen Wahrnehmungssituation erklärt werden. Abgesehen davon sind die Ergebnisse
psychoakustischer Laborversuche oft auch nicht so eindeutig, wie in der Literatur dargestellt...
Gutachter
Erstgutachter: Albrecht Schneider
Zweitgutachter: Rolf Bader
Publikationen
Artikel in Fachzeitschriften
Von Ruschkowski, Arne & Schneider, Albrecht, "Schallstruktur und potenzielle Risiken für das Gehör: eine empirische Studie in einer Hamburger Diskothek", in: Zeitschrift für Audiologie (Audiological Acoustics) 51(3), 2012, 115-121.
Bücher und Buchkapitel
Von Ruschkowski, Arne: Lautheit von Musik: Eine empirische Untersuchung zum Einfluss von Organismusvariablen auf die Lautstärkewahrnehmung von Musik [PDF], Hamburg, Univ., Diss., 2014.
Schneider, Albrecht & Von Ruschkowski, Arne (Hrsg.): Systematic Musicology: Empirical and Theoretical Studies, Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft 28, Frankfurt am Main: Peter Lang 2012.
Schneider, Albrecht & Von Ruschkowski, Arne, "Techno, Decibels, and Politics: an Empirical Study of Modern Dance Music Productions, Sound Pressure Levels, and ‘Loudness Perception’", in: Schneider, Albrecht & Von Ruschkowski, Arne (Hrsg.): Systematic Musicology: Empirical and Theoretical Studies, Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft 28, Frankfurt am Main: Peter Lang 2012, S. 13-62.
Schneider, Albrecht, Von Ruschkowski, Arne & Bader, Rolf, " Klangliche Rauhigkeit, ihre Wahrnehmung und Messung", in: Bader, Rolf (Hrsg.): Musical Acoustics, Neurocognition and Psychology of Music / Musikalische Akustik, Neurokognition und Musikpsychologie, Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft 25, Frankfurt am Main: Peter Lang 2009, S. 103-148.
Bader, Rolf & Von Ruschkowski, Arne, "Differences in brain activity between blurred and unblurred versions of musical pieces", in: Bader, Rolf (Hrsg.): Musical Acoustics, Neurocognition and Psychology of Music / Musikalische Akustik, Neurokognition und Musikpsychologie, Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft 25, Frankfurt am Main: Peter Lang 2009, S. 89-102.
Von Ruschkowski, Arne, "Loudness War", in: Schneider, Albrecht (Hrsg.): Systematic and Comparative Musicology: Concepts, Methods, Findings, Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft 24, Frankfurt am Main: Peter Lang 2008.
Von Ruschkowski, Arne: Loudness war: Eine psychoakustische Untersuchung von CDs mit populärer Musik (Magisterarbeit), Univ. Hamburg 2007.